Vom leisen Geheimnis um das Frankenlied

Von Julian Weiss und Philipp Abele

Der Norden des Freistaats Bayern ist Heimat gewahrter Kultur und fester Traditionen. Der Norden des Freistaats ist Frankenland. Victor von Scheffel gab den stolzen Einwohnern einst ihre Hymne. Dass hinter den berühmten Versen des Frankenlieds auch ein Geheimnis wacht, war lange Zeit unbekannt.

 

Scheffel_Potrait-Wiederhergestellt

 

 

 


Victor von Scheffel, der große Franke? Weit gefehlt. Mit diesem Glauben ist spätestens seit dem Juli 2014 Schluss. Denn vor rund zwei Jahren räumte die Kunsthistorikerin Natalie Gutgesell neben dieser Fabel mit so einigen Mythen auf, die sich rund um die geschichtsträchtige Gestalt Victor von Scheffel ranken. Scheffel war einer der ganz großen Dichterfürsten Süddeutschlands zu Mitte des 19. Jahrhunderts – aus der Gegend von Karlsruhe wohlgemerkt, und damit aus Gefilden weit westlicher, als sich die Gaue des Frankenlandes je erstreckt haben.

Victor von Scheffel – als Schöpfergeist ein uomo universale

Von Scheffel zu sprechen hieß lange Zeit in Lyrik, Dichtung, in Versepen zu denken – nicht zuletzt gab er den Franken den Text ihrer inoffiziellen Hymne. Was aber seit Erscheinen von Gutgesells Studien nun auch breiteren Bevölkerungskreisen bekannt wird: Scheffel war weit mehr als nur ein Poet, der sich auf Verse verstand. Mit ihrem Buch „Da hat der Scheffel etwas dazu gedichtet“ wäre es falsch zu sagen, sie habe den Franken nur einige unbekannte Züge des Dichters nahegebracht – tatsächlich entdeckte sie ihn halb neu! Victor von Scheffel, so wissen wir seit Gutgesell, war nicht nur der Mann der Reime und der taktvollen Metrik: er war auch Zeichner, Maler, Litograph. „Und nicht nur ein kleiner Amateur“, fügt Gutgesell eindringlich gestikulierend hinzu, „gelernt hat er bei den Großen des Fachs, und das schon ab dem Alter von sechs Jahren.“

Werke von Scheffler-derhergestellt

Zeit seines Lebens verfasste der Dichter über 400 Litographien, Aquarelle und Gemälde, zahlreiche Skizzen und Notizbücher. Was selbst eingesessene Franken nicht wissen: Auch von seiner Zeit auf Kloster Banz 1859 im Frankenland gibt es Skizzen – der Zeit, in der die Verse der Frankenhymne entstanden sind. Allerdings hat die Kunsthistorikern nicht einzig die bildnerischen Werke Scheffels aus der Versenkung eines Karlsruher Archivs gehoben – vielmehr auch eines der wichtigsten fränkischen Kulturgüter – das Urmanuskript des Frankenlieds! „Dieser Fund war ein kompletter Zufall“, erinnert sich Gutgesell, „ich war ja wirklich nur an Scheffels zeichnerischen Werken interessiert.“ Die Bildergalerie zeigt die Funde Gutgesells, die von dem nun bekannten schöpferischen Werk zur Zeit seines mehrwöchigen Aufenthalts auf Kloster Banz im Jahr 1859 zeugen.

 

Die lange Zeit unentdeckten Skizzen und Manuskripte Scheffels sind allerdings nicht das einzige, mit der die 44-jährige Kunsthistorikerin Gutgesell aufwarten kann. Vielmehr kann sie durch ihre intensiven Recherchen zur Person Scheffels, über den ihre Promotion handelt, Aufschluss geben über so einige Halbwahrheiten, die sich in mehreren Generationen überlieferter Erzählung im Frankenland so angesammelt haben. „Mit dem Originalmanuskript war klar, dass Scheffel das Wanderlied wirklich in seiner Zeit rund um den Staffelberg verfasst hat“, weiß Gutgesell etwa gängige Zweifel an der Entstehungszeit des Liedtextes auszuräumen.

Ein verhängnisvolles Fräulein in Strophe fünf

Doch auch zu der wohl bekanntesten Liedstrophe des Frankenlieds gibt es ein kleines Geheimnis. In der fünften Liedstrophe verhalf Scheffel einem Eremitenpater vom Staffelberg zu zweifelhaftem Ruhm – dem seither legendären Einsiedler Ivo Hennemann.

Einsiedelmann ist nicht zu Haus’,
dieweil es Zeit zu mähen.Schnitterin&Ivo
Ich seh’ ihn an der Halde drauß’
bei einer Schnitt’rin stehen.
Verfahr’ner Schüler Stoßgebet
heißt: Herr, gib uns zu trinken!
Doch wer bei schöner Schnitt’rin steht,
dem mag man lange winken,
valeri, valera, valeri, valera,
dem mag man lange winken.

Den keuschen und einsamen Pater vom Staffelberg in Verbindung zu bringen mit der „schönen Schnitt’rin“, das war nun wirklich ein Schelmenstreich – eine echte Dichterposse. Die „Schnitterin“ hierbei ist Scheffels dichterischer Begriff für eine Magd bei der Erntehilfe. Der Geistliche Gerhard Hellgeth, über Jahrzehnte Pfarrer in Bad Staffelstein, hat sich selbst einmal mit dem Frankenlied auseinandergesetzt und weiß die Bedeutung vielleicht am besten einzuschätzen.

Pfarrer Gerhard Hellgeth über Ivo Hennemann


Den meisten Franken unbekannt: Diese Strophe markiert den Beginn eines jahrzehntelangen Zwists zwischen dem Dichter und dem Eremitenpater „Ivo“, der mit bürgerlichem Namen Johann Hennemann hieß. Was sich Scheffel mit dem kleinen Stelldichein um die „schöne Schnitt’rin“ an Freiheit herausnahm, um den Reiz seiner Dichtung zu erhöhen, gärte zwischen ihm und dem Einsiedler mehr als zwanzig Jahre und belastete deren Bekanntschaft.

Eine Dichterposse am Anfang eines jahrzehntelangen Zwists

Seit den Funden Gutgesells erweitert sich die Kenntnis um den Disput allerdings um eine weitere Nuance. „Die Erwähnung von der besonderen Schönheit der Schnitterin findet sich im Originalmanuskript nicht“, sagt Gutgesell, „Scheffel hat diesen Zusatz tatsächlich erst in eine spätere Fassung eingefügt.“ Was sich heute für manchen womöglich nur nach einer unwesentlichen Nebenbemerkung anhört, barg im 19. Jahrhundert jedoch ein zusätzliches Maß an Pikanterie. Einsiedler Ivo wurde in seinen 43 Jahren auf dem Staffelberg zur lebenden Legende – nicht zuletzt durch die historisch zweifelhafte Szene im berühmten Wanderlied Scheffels.

Lange Jahre brauchte es, nur Tage vor dem Ableben des berühmten Einsiedlers auf dem Staffelberg, bis er sich mit Scheffel anlässlich dessen 60. Geburtstag wieder versöhnte.Vom historischen Zwist, der sich hinter den Versen der fünften Liedstrophe verbirgt, wissen heute nur die wenigsten Franken. Ein stilles Geheimnis, dessen Reiz denjenigen belohnt, der sich die Mühe macht, die Spuren zu den beiden legendären Persönlichkeiten aufzunehmen. Im Nachhinein geschadet hat der Zwist jedenfalls keinem der beiden – weder dem großen Popstar des Biedermeier, noch dem in Wahrheit keuschen Pater auf dem fränkischen Staffelberg.

Pfarrer Hellgeth und der Reiz des Frankenlieds

giphy

Weiterführende Links: 

Kunsthistorikerin Natalie Gutgesell: http://www.nataliegutgesell.de

Das Frankenlied Scheffels in sechs Strophen: http://www.bundesland-franken.de/frankenlied.html

Fränkischer Bund: http://www.fraenkischer-bund.de

Videomusik:

Klampfengruppe des Kultur- und Freizeitfreunde e.V. aus Bad Staffelstein, Leiter der Klampfengruppe: Rudolf Paul

Link: homepage.kulturundfreizeitfreunde.de

Bildquelle:

Gutgesell, Natalie: „Da hat Herr Scheffel etwas dazu gedichtet“ – Joseph Victor von Scheffel als bildender Künstler. 2 Bände. Diss. Erlangen-Nürnberg, Halle (Saale), Ausst. Kat. Banz, Karlsruhe, Weimar 2014